Zum Kommentar von Dirk Ippen „Bis heute hilft der Lorscher Bienensegen“, Diepholzer Kreiszeitung vom 23.2.2019)
So einfach ist das: Man mixt ein paar schlecht recherchierte Halbwahrheiten, sucht einen vermeintlich Schuldigen, der sich nicht wehren kann, und schon ist die Welt wieder in Ordnung und wir können uns entspannt zurücklehnen und so weiter machen wie bisher – incl. Pestizideinsatz auf unseren Feldern.
Das bayerische Volksbegehren zur Bewahrung der Schöpfung wird so als blanker Aktionismus von ein paar unterbelichteten Ökospinnern und notorischen Gutmenschen hingestellt, so überflüssig wie ein Kropf.
Zunächst einmal zu den Fakten: Dass die Zahl der Honigbienenvölker derzeit auf einem Höchststand ist, stimmt nur weltweit, aber nicht für unsere heimische Umwelt (um die es ja u.a. bei dem Volksbegehren geht). In Deutschland war die Zahl der gehaltenen Bienenvölker seit Jahrzehnten rückläufig – von über 2 Mio 1961 auf unter 700 000 in 2009, seither erholt sich der Bestand erfreulicherweise langsam wieder, nicht zuletzt dank interessierter und engagierter Mitbürger.
Wäre es mit der Nahrungskonkurrenz zwischen Honigbienen und Wildbienen so dramatisch wie in dem Kommentar beschworen, so hätten letztere ja schon in den 60er Jahren aussterben müssen. Aber damals war der Nektartisch ja noch reichlich gedeckt und weniger vergiftet.
Wenn eine im Oktober 2017 veröffentlichte Langzeitstudie belegt, dass die Anzahl der Insekten in Deutschland in den letzten 30 Jahren um 75% zurückgegangen ist, so kann man das ja wohl schwerlich den Honigbienen und ihrer kleinen Lobby, den Imkerinnen und Imkern, anlasten. Das hieße, die wirklichen Ursachen bewusst zu ignorieren. Freilich ist es so, dass von allen heimischen Insekten die Honigbienen am besten erforscht, beobachtet und nach Kräften gefördert werden. Das hat aber mit ihrer unersetzlichen volkswirtschaftlichen Bedeutung für unsere Nahrungsmittelproduktion zu tun = Bestäubungsleistung in Landwirtschaft, Obst- und Gartenbaubetrieben. Wenn es heute zu vereinzelten Fällen von Nahrungskonkurrenz mit den Wildbienen kommt, dann doch gerade deshalb, weil die natürliche Blütenvielfalt in Artenreichtum und Menge von den Menschen auf einen Bruchteil zurückgedrängt wurde.
Thema Neonicotinoide: Diese hochwirksamen Gifte gegen Insekten, die deren Nervensystem und Orientierungssinn angreifen, sind ja längst noch nicht alle vom Markt – nur die 3 giftigsten und am meisten verbreiteten wurde zunächst versuchsweise und dann dauerhaft verboten, und das auch nicht freiwillig, sondern nur auf massive Proteste und unwiderlegbare Fakten hin. Das ist doch nur die Spitze des Eisbergs. Unsere derzeitige Landwirtschaftsministerin Frau Klöckner wird gerne zitiert mit dem Satz: Was den Bienen schadet, muss vom Markt – man wird sie an ihren Taten messen und nicht an ihren Worten…
Auch wenn die Insektizide mancherorts nachts ausgebracht werden (was sicher nicht immer praktikabel ist, Landwirte müssen ja auch mal schlafen), so mag das die Sache etwas entschärfen, gelöst ist damit gar nichts. Die Gifte sind am nächsten Morgen doch nicht einfach weg – die Insekten haben sie dann nur an den Füßen und am Rüssel statt auf den Flügeln.
Zu behaupten, die Honigbiene „käme mit all diesen Dingen zurecht“, ist schlichtweg zynisch. Wir Imker stehen mit dem Rücken zur Wand und sind seit Jahren hauptsächlich mit dem Bestandserhalt der Völkerzahlen beschäftigt und dann erst mit der Honigproduktion – das war früher genau umgekehrt. Oder um es etwas drastisch mit den Worten von Dr Mühlen von der Landwirtschaftskammer Münster auszudrücken: Die Honigbiene ist als freilebende Spezies in Westeuropa ausgestorben (!), es gibt sie nur noch in der Obhut des Menschen.
Die Behauptung, die Dominanz der Honigbiene würde die Nistmöglichkeiten von Wildbienen einschränken, zeugt einmal mehr von einer profunden Unkenntnis der Biologie der Hautflügler: Honigbienen leben als Volk und benötigen entsprechend große geschützte Hohlräume, Solitärbienen leben einzeln und überwintern als Ei/Puppe in kleinen Röhren.
Ebenso die Vorstellung, man könne Honigbienenvölker von den „Rückzugsgebieten“ der Wildbienen (wo sind die?) fernhalten. Der Flugkreis eines Bienenvolkes beträgt 30 bis 50 km² und man kann sie von gar nichts fernhalten, weder von anderen Insekten noch von giftbelasteten Feldern.
[Nun ja, die Kommentarspalte heißt ja auch „Wie ich es sehe“… aber dann gehört sie auch nicht auf eine Seite mit dem Namen „Hintergrund“, wo der unbedarfte Leser sich eher soliden Journalismus erwartet]
Der fromme Wunsch zum Schluss, man möge doch die eigenen Gärten blütenreich gestalten, ist ja begrüßenswert und keineswegs verkehrt, lenkt aber vom Kernproblem ab, denn der weitaus größte Teil der kultivierten Fläche Deutschlands ist nun einmal in landwirtschaftlicher Nutzung, und dort gilt es anzusetzen, will man eine Trendwende zum Wohle der Insekten einleiten.
Bei der Problematik, effektive und gesunde Nahrungsmittelproduktion mit dem Erhalt einer lebenswerten Umwelt zu verbinden, helfen uns leider altgermanische Beschwörungs. Und Zaubersprüche wie der Lorscher Bienensegen nicht mehr wirklich weiter, es braucht zeitgemäße Antworten, die auch morgen noch gelten, und viele wache und engagierte Mitmenschen, die sie umsetzen und sich nicht durch seltsame Kommentare beirren lassen.
Peter Wagner, 1. Vorsitzender des Imkervereins Diepholz und Umgegend von 1898